Kontroverse gleich in der ersten Sitzung/Annemarie Meinhardt: „Es geht weiter wie bisher"
Bad Orb (ez). Seit Mittwochabend hat die Kurstadt Bad Orb einen neuen Stadtverordnetenvorsteher. Michael Heim (FWG) wurde mit 20 von 31 Stimmen gewählt Die 18 Stimmen von CDU und FWG wurden offenbar durch zwei Stimmen aus der Opposition ergänzt. Vorangegangen waren heftige Diskussionen. Zu stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher wurden Dieter Hessberger (CDU), Ralf Baumgarten (Grüne) und Thorsten Stock (FWG) gewählt.
„Ein wesentliches Merkmal unserer Demokratie ist der Machtwechsel.“ Mit diesen Worten eröffnete Bürgermeister Roland Weiß (parteilos) die konstituierende Sitzung der Stadtverordnetenversammlung in der Konzerthalle. Er machte deutlich, dass personelle Veränderungen anstünden, langjährige Mitglieder hätten nach nicht mehr zur Wahl gestellt; neue würden nun gemäß dem Wählerauftrag an den Entscheidungen mitwirken. Weiß' grundlegende Anmerkungen galten der Stadtentwicklung, den Kommunalfinanzen, der wirtschaftlichen Entwicklung, den zu erwartenden Folgen für Investitionsvorhaben und den erforderlichen Kraftanstrengungen. Es werde auf jedes Mitglied ankommen. „Sachverstand, Unabhängigkeit in den
Entscheidungen und das Wohl der Stadt sollen die Leitplanken für unsere gemeinsame Arbeit sein. Lassen Sie uns diese mit Zuversicht und Optimismus anpacken.“
Als ältestes Mitglied der Stadtverordnetenversammlung leitete Annemarie Meinhardt die Wahl des neuen Stadtverordnetenvorstehers. Die Sozialdemokratin ist Jahrgang 1947 und seit Jahrzehnten politisch engagiert. Eingangs richtete sie einen dringenden Appell an die Parlamentarier. „Bleiben sie fair zueinander. Reden sie miteinander und nicht übereinander. Nur gemeinsam sind wir stark zum Wohle der Stadt.“ Es jedem recht zu machen, sei nicht möglich. Politik sei Arbeit, und wenn man sie mit Herz mache, dann sehr viel Arbeit, die Kraft koste und oft verlange. Persönliches zurückzustellen.
Für das Amt des Stadtverordnetenvorstehers hatten CDU und FWG Michael Heim von den Freien Wählern vorgeschlagen. Bündnis 90/Die Grünen reichten den Namen Dieter Hessberger (CDU) ein. Hessberger meldete sich zu Wort und sagte, dass es ihm eine Ehre sei, dass er von der Opposition vorgeschlagen wurde; er aber für das Amt nicht zur Verfügung stünde. Auch sei er vor der Sitzung nicht gefragt worden.
Ralf Meinerzag, Fraktionsvorsitzender der Grünen, die aus dem Stand bei der Kommunalwahl auf über 23 Prozent kamen, sagte, dass die Grünen auch mit dem Ziel angetreten seien, den Umgang miteinander und den politischen Stil zu verbessern. Nach nun kaum sechs Wochen sei keine Verbesserung, sondern eine Verschlimmerung eingetreten. Man habe keine Lehren aus Fehlern gezogen. In Hessen sei es üblich, dass die stärkste Fraktion den Stadtverordnetenvorsteher stelle. Dies habe man bereits vor fünf Jahren umgangen. „Spielt denn der Wählerwille keine Rolle?“ Wie erkläre es sich, dass die dritt-schwächste Fraktion den Posten besetzen solle. Michael Heim sei weder neutral noch sachlich. Auch positioniere er sich in den sozialen Medien. Michael Heim sei undemokratisch und habe bewiesen, dass er nicht mit allen könne. Mainerzag sprach von Postenschieberei, die, dabei bezog er sich auf einen GNZ-Leserbrief, kein Geschenk oder Überlassen sei, sondern ein Deal, der die Grünen ausschließe und der CDU Mehrheiten sichere. „Ich lehne diesen Vorschlag kategorisch ab.“ Er beantragte „geheime Wahl“.
CDU fühlt sich dem Wählerwillen tief verpflichtet
CDU-Fraktionschef Tobias Weisbecker sagte, dass am 14. März die Wähler ihren Willen, ein anderes politisches Klima zu schaffen, klar zum Ausdruck gebracht hätten. „Wir wollen die Sacharbeit höher als die Parteiarbeit hangen und fühlen uns dem Wählerwillen tief verpflichtet.“ Die stärkste Fraktion, so sei es Usus, legal und legitim, könne einen Wahlvorschlag bestimmen Davon sei auch in der Vergangenheit Gebrauch gemacht und nicht die Demokratie auf den Kopf gestellt worden. Er bat einem vorgeschlagenen Kandidaten nicht von vorneherein die Eignung abzusprechen. Michael Heim engagiere sich für seine Heimatstadt. Er könne Menschen zusammenführen für ein faires Miteinander und einen fairen Umgangston. Thorsten Stock (FWG) bemängelte die „persönliche Diskreditierung“ und machte deutlich, dass vor fünf Jahren jede parlamentarische Tradition ad absurdum geführt worden sei. Die CDU habe, obwohl stärkste Fraktion, weder das Amt des Stadtverordnetenvorstehers erhalten noch einen Ausschussvorsitz. Er, Stock, hasse „Politik über Facebook“. Jemand, der selbst kommentiere, sollte nicht über andere Kommentare urteilen. „Ich kenne Michael Heim als Stadtverordneten, Regisseur und Menschen. Er kann Menschen geleiten, ausgleichend wirken, auf alle zugehen.“ Persönliche Angriffe seien ein schlechter Stil. Mit dem Begriff „schlechter Stil“ setzte sich Dr. Matthias Dickert (FBO) auseinander und erklärte, dass politische Parteien stigmatisiert wurden und von Michael Heim eine rote Linie überschritten wurde. Er hinterfragte auch das „C“ für christlich bei der CDU. Ein Einziger hatte bei einem persönlichen Anruf die Courage gehabt, sich von Äußerungen Heims zu distanzierten. Es hatte menschlicher Größe bedurft. Unterlegene nicht zu treten. Dickert versprach, sachliche Politik und machte deutlich: „Wir werden die Oppositionsrolle gut ausfuhren“ Ralf Baumgarten (Grüne) blickte zurück und meinte, dass die CDU auch in der Vergangenheit bereits bei der Besetzung des Stadtverordnetenvorsteherpostens Verantwortung verschenkt habe. Was mit CDU und FWG gelaufen sei, sei „unterirdisch“ Es seien Bilder mit dem Tenor „Grüne gehören auf den Friedhof“ gepostet worden. Das gehe zu weit. Der erhoffte Friede sei nicht eingekehrt. Jeden anderen Kandidaten würde er mittragen, betonte Baumgarten, „diesen nicht“. Er fügte hinzu: „Wir werden nicht alles abnicken. Wir werden agieren.“
Ralf Diener beklagt „schmutzige Äußerungen" im Wahlkampf
Ralf Diener (FBO) sprach über einen in seinen Augen nicht fair gelaufenen Wahlkampf in den sozialen Medien sei „Unterirdisches“ gepostet worden, das mit „C“ nichts zu tun habe; aber in Bad Orb würden ja auch Kirchtürme abgerissen. Von Michael Heim stammten „schmutzige Äußerungen“. Dabei zitierte er einen alten Post, dessen Autor zu sein, Heim immer bestritten hat. Dann ging Diener auf jenen „Joes Freis“ ein, eine Person, die nicht unter ihrem Namen poste. Das sei ein Troll, eine Kunstfigur, die keinen „Hintern in der Hose“ habe Diener verwahrte sich, ein Nazi zu sein oder Nazis in der Familie gehabt zu haben. Er bezog sich dabei auf jenen Artikel in der GNZ. in dem Georg Freund dazu aufgerufen habe, die FBO nicht zu wählen. „Michael Heim kann nicht mit uns rechnen. Dieter Hessberger oder Claus Sieverding hätten wir gerne gewählt"
Steffen Kempa (CDU) setzte sich deeskaüerend dafür ein, dass die Weichen gestellt werden, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Jeder solle sich an seine eigene Nase fassen. .Lasst uns gut Zusammenarbeiten. Das ist eine Riesenchance. Die alten Dinge sollten uns nicht von guter Arbeit abhalten.* .Meine Rede war für die Katz ", bedauerte Annemarie Meinhardt bevor der Wahlausschuss zusammentrat .Es geht weiter wie bisher. Liebe Bad Orber Bürger, stellt euch darauf ein.“
Nach Bekanntwerden des Ergebnisses (merkwürdigerweise hatte auch Dieter Hessberger eine Stimme erhalten) ertönte Beifall für Michael Heim, und er wechselte den Platz mit Annemarie Meinhardt „Ich bin nicht mehr einer derjenigen, die im Wahlkampf mitdominiert haben", machte der frischgebackene Stadtverordnetenvorsteher klar und dankte für das Vertrauen. "Es ist mir eine Ehre und auch eine große Verpflichtung, dieses Ehrenamt anzutreten." Ihm seien die Schwierigkeiten des Amtes bewusst. Er werde sich alle Muhe geben und bat darum, ihn dabei zu unterstützen, und bei aller Konkurrenz und allen Meinungsverschiedenheiten zwar kontrovers in der Sache, aber respektvoll miteinander umzugehen. „Verbunden mit dieser Bitte reiche ich Ihnen allen noch einmal auch öffentlich meine Hand zu einer kollegialen Mitarbeit im Sinne und zum Wöhle unserer schönen Heimatstadt. Heim weiter: "Eine Ara ist mit dem heutigen Tag zu Ende gegangen". Gemeint war die Ära seines Vorgängers Heinz Grüll. "Grüll hat über 20 Jahre dieses Ehrenamt innegehabt und ich kann aus der Erfahrung meiner letzten zehn Jahre als Stadtverordneter und aus den letzten Tagen, obwohl ich da nur ein Kandidat war, sagen, wie schwer es oftmals ist, die Last mcht nur zu tragen, sondern auch zu ertragen. Ich danke Herrn Grüll aufrichtig für diese ehrenvolle langjährige Tätigkeit." Mit einem Blumenstrauß gratulierte Heinz Grüll seinem Nachfolger - mit guten Wünschen für seine Amtsführung mim dem kleinen Seitenhieb: "Wir sind hier nicht auf dem Holzhof.“
Quelle: GNZ, 30. April 2021, Bild: Ziegler